Auch dieses Jahr waren wir wieder auf einer der wohl wichtigsten Messen unserer Kunden aus der kunstoffverarbeitenden Industrie: Die K in Düsseldorf. Was hat sich z.B. bei den Herstellern von Spritzgießmaschinen seit der Fakuma 2018 getan? Dieser Blog Post bietet einen kritischen Blick auf die Fortschritte der Branche in der Digitalisierung anhand drei großer Hersteller von Spritzgießmaschinen.
Die Antwort auf obige Frage ist schnell beantwortet: Im Vergleich zur Fakuma 2018 konnten die Aussteller wenig überzeugen oder inspirieren. Auf der K 2019 gab es leider nicht die erhofften großen Sprünge, Neuerungen, innovativen oder gar revolutionären Ideen und Visionen. Der Eindruck ist eher ernüchternd, ein genauer Blick lohnt sich jedoch trotzdem.
Abbildung 1: Werbelogo von Engel für Circular Economy
Ein möglicher Grund dafür liegt auf dem Fokus der Circular Economy, also einer Kreislaufwirtschaft für den Werkstoff Plastik. Dies soll dem medialen und gesellschaftlichen Druck entgegenwirken, welchen die Branche zu spüren bekommt. Dieses Thema war z.B. auch einen Beitrag im ZDF Heute Journal vom 16.10.2019 wert. Die Hersteller versuchen für die Circular Economy bestehende Möglichkeiten aus der Digitalisierung zu nutzen und bieten beispielsweise Online-Portale für den Weiterverkauf von Recyclingmaterialien an oder wollen Chargen in ihrem Weg beim Recycling/Upcycling nachverfolgen. Der große Wurf, um Circular Economy mit den Möglichkeiten der Industrie 4.0 zu verbinden, blieb aber aus.
Engel
Vor allem bei Engel schien dieser Fokus das Thema Digitalisierung stark verdrängt zu haben. In ihrer e.connect Lösung gab es wenig Neues zu bestaunen. Lediglich eine nahtlosere Integration von Service Requests mithilfe einer Mobile App wurde groß beworben. Wie bisher können die Service Requests direkt aus der Benutzeroberfläche der Maschine erstellt werden und der Servicetechniker kann sich bei Bedarf direkt auf die Maschine schalten. Nun gibt es noch eine Mobile App für die leichtere Kommunikation zwischen Nutzer und Servicetechniker. Jedoch wurden keine Screenshots der App gezeigt und ich musste sehr genau suchen, bis ich die App an einem Tablet live testen konnte. Leider war dies nur eingeschränkt möglich, da keine guten Demoszenarien und Service Requests zum Testen vorhanden waren.
Arburg
Bei Arburg wurden wir natürlich von einem VR-Showcase mit einer HTC-Brille angezogen. In der Applikation ist das komplette 3D-Modell der Maschine hinterlegt und zeigt die Simulation eines Arbeitszyklus. Der Benutzer kann sich zu 4 verschiedenen Punkten an der Maschine per Controller navigieren und sich dort frei bewegen und direkt in die Maschine schauen. Uns konnte leider kein Business Use Case erläutert werden oder für welche Endanwender dieses Szenario interessant und ausgebaut werden könnte. Was mit VR- und AR-Brillen möglich ist, sollte nicht nur in dieser Branche bereits bekannt sein. Wichtig sind nun die konkreten Anwendungsszenarien. Leider fehlen diese aktuell bei Arburg.
Abbildung 2: Wir durften den VR-Showcase von Arburg ausprobieren
Konkrete Fortschritte kann Arburg trotzdem vermelden: die neue Cloud-Applikation arburgXworld wurde vorgestellt und hat ein paar interessante Fakten zu bieten. Sie wurde in Kooperation mit IBM entwickelt und benutzt ein offenes IoT-Gateway in den Maschinen, um die Daten in die Cloud zu bekommen. Das Gateway wird bei allen Maschinen ab Oktober 2019 gratis verbaut und ausgeliefert. Ein Kunde mit genug Expertise kann also das IoT-Gateway selbst komplett provisionieren oder erweitern und muss nicht unbedingt arburgXworld nutzen. Dies soll vor allem jene Kunden adressieren, welche noch Bedenken haben, ihre Daten in die Cloud zu geben. Damit können die Kunden auch lokal eine eigene Lösung betreiben und mit Daten füttern.
Wer in die Cloud geht, hat zwei konkrete Mehrwerte mit arburgXworld: Der externe Zugriff auf die Daten z.B. per Smartphone und die Anzeige von einigen aktuellen Daten zur Maschine und deren Zustand aus der Produktion in einem Dashboard. Leider scheint das Dashboard aktuell der einzige Konsument der Daten zu sein und damit bleibt arburgXworld weit hinter den Möglichkeiten aus der Nutzung der Daten für eine wirkliche „Smart Factory“ zurück. Übrigens wird das IoT-Gateway zwar gratis verbaut, aber die Nutzung der Daten im Dashboard in arburgXworld soll über ein Abonnement vermarktet werden. Immerhin liegt hier bereits eine konkrete Preisliste vor: 395 EUR pro Maschine sind pro Jahr zu zahlen. Dies ist ein vergleichsweise günstiger Einstieg, allerdings bietet das System im Vergleich zum hauseigenen on-premise System ALS kaum Vorteile. Bei der Rückfrage, ob andere Maschinen anderer Hersteller ebenfalls an arburgXworld angeschlossen werden können, um die in der Praxis heterogenen Maschinenparks der Kunden zu adressieren, kam eher eine zurückhaltend positive Antwort. Prinzipiell sei das technisch machbar, aber es scheint kein Fokus darauf gelegt zu werden.
KraussMaffei
Bei KraussMaffei wurde ein großer Recycling-Showcase gezeigt: Auf der Messe wurden Plastikeimer hergestellt, welche in einer Maschine daneben wieder geschreddert und per Upcycling zu einem Ausgansstoff für eine Abdeckung einer A-Säule für ein Auto verarbeitet wurde. Die Abdeckung wurde natürlich auch wieder direkt auf der Messe hergestellt: ein kleines Beispiel für Circular Economy auf der Messe.
Abbildung 3: Am ohnehin großen Stand von KraussMaffei nahm der Showcase für das Upcycling viel Raum ein.
Beim Thema Digitalisierung zog KraussMaffei mit smartAssist nach und bietet nun auch eine AR-Lösung für Support-Fälle an, um den Benutzer an der Maschine durch einen Servicetechniker effizient zu unterstützen. Die gezeigte Lösung deckt eher bereits von anderen Herstellern angebotene Szenarien ab und wirkt weniger innovativ und eher State-of-the-Art.
Die größte Neuheit war die Vorstellung des Systems socialProduction. Das Prinzip lautet: viele Daten aus der Maschine sammeln, per KI nach Auffälligkeiten suchen und dem Benutzer sofort aufs Smartphone eine Push Nachricht schicken, damit er der Anomalie nachgehen und ggf. eingreifen kann, um Schlimmeres zu verhindern.
Abbildung 4: Ankündigung von socialProduction auf Twitter
Mithilfe des Device dataXplorer werden etliche Daten sehr feingranular gesammelt, aufbereitet und über ein IoT Gateway in die Cloud geschickt. Auf der Messe wurde übrigens auch ein Showcase für Retrofit gezeigt, indem der dataXplorer und das IoT Gateway in eine alte Maschine Baujahr 2005 eingebaut und damit an die Cloud angebunden wurde. Im Backend in der Cloud ist ein speziell für diese Maschine mit den aktuellen Materialien etc. trainiertes Machine Learning (ML) Modell hinterlegt, mit welchem die Live-Daten nach Anomalien analysiert werden. Wird eine Anomalie gefunden, so wird sie direkt in einem „Newsfeed“ gepostet. Das ML-Modell wird kontinuierlich weiter trainiert und damit verbessert.
In der socialProduction App ist eine Übersicht mit allen angeschlossenen Maschinen zu sehen, u.a. mit dem aktuellen Status (Läuft die Maschine? Existiert ein Alarm?) und einer einzigen Kennzahl „Stability“, welche den Gesamtstatus und die Produktivität der Maschine beschreibt. Pro Maschine gibt es einen „Newsfeed“, auf welchen man sich mit Push Nachrichten abonnieren kann. Anomalien in den Daten werden dort sofort gemeldet und bereits ein paar Minuten später werden konkrete Hinweise gepostet, welche Maschinenteile dafür verantwortlich sein könnten. Mehrere Personen können Zugriff auf diesen Newsfeed haben und er kann z.B. auch für die Kommunikation (Chat & Bilder posten) mit dem Support genutzt werden.
Das Projekt befindet sich allerdings noch in der Pilotphase und einige Features sind noch nicht umgesetzt, z.B. dass der Benutzer bei den Hinweisen zu den Ursachen von Anomalien auch Rückmeldung geben kann, welcher Hinweis hilfreich oder richtig war, um damit das ML-Modell noch gezielter zu verbessern. Daher ist diese Vorstellung eher als Teaser zu verstehen und es handelt sich noch nicht um ein ausgereiftes Produkt. Wann genau und zu welchen Konditionen es kommen wird ist noch nicht sicher. Wahrscheinlich wird es über ein Abonnement den Kunden angeboten werden. Insgesamt wirkt das Konzept und die bisher gezeigte App aber stimmig und hat Potential. Herausragend war die Aussage, dass prinzipiell jede Maschine aller Hersteller über offene Schnittstellen wie OPC UA und der zugehörigen Companion Specification Euromap77 angebunden werden können. Wie hoch dieser Anwendungsfall aber wirklich auf der Agenda steht, ist unklar, da das Projekt selbst mit KraussMaffei-Maschinen noch nicht komplett ausgereift ist.
Fazit
Meine Erwartungen an die K 2019 – nämlich ausgereifte Business Use Cases für die Industrie 4.0 und Vernetzung von Maschinen – wurden leider nicht erfüllt. Die technischen Möglichkeiten sind mit den am Markt erhältlichen Devices, den Cloud-Plattform-Anbietern wie Microsoft Azure oder AWS und einer einheitlichen Companion Specification Euromap77 für die Branche gegeben. Warum der große Wurf trotzdem ausblieb, hat nach meiner Ansicht vielfältige Gründe, u.a.:
- Die Branche befindet sich in einem Umbruch und legt mehr Gewicht auf den Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Dies bindet Zeit und Ressourcen.
- Euromap77 verbindet die Branche und eigentlich war bei der Fakuma 2018 klar, dass man die große Aufgabe der Digitalisierung in der Industrie 4.0 nur zusammen schaffen kann, aber die Hersteller können kein großes gemeinsames Projekt vorweisen. Lediglich bei den eigenen Digitalen Services wurde die Expertise von Partnern aus der IT-Branche genutzt. Der Weg zur Euromap77 war beschwerlich und hat vielleicht die Hersteller im Bezug auf die Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt ernüchtert.
- Viele Hersteller sind noch in Testphasen mit Pilotkunden gebunden – klare und überzeugende Visionen und Produkte, welche den Kunden einen wirklichen Mehrwert in ihrem Daily Business bringen, liegen weitgehend in noch nicht absehbarer Zukunft.
- Die konjunkturellen und politischen Risiken (siehe z.B. VDMA Bericht) hemmen die Unternehmen, große und mutige Schritte nach vorne zu machen.
Trotz allem bleibt es spannend, denn die technischen Möglichkeiten sind alle gegeben und viele gute Ideen existieren bereits. Wer sich zuerst richtig am Markt platziert, kann in Zukunft für alle den Weg weisen. Diese Chance werden sich auch die Hersteller von Spritzgießmaschinen nicht entgehen lassen wollen.
Wenn auch Sie Ihre Chance in der Digitalisierung ergreifen und von unserer Erfahrung profitieren möchten, sprechen Sie uns an. Wir führen Sie gerne ans Ziel.