Bei der aktuell laufenden Hannover Messe Industrie (HMI) steht das Thema Industrie 4.0 wie auch zuletzt auf der HolzHandwerk in Nürnberg klar im Vordergrund. Im Vergleich zum Vorjahr verlor dabei vor allem das Thema AR und VR deutlich an Bedeutung. Passend zur Messe kündigten viele Aussteller dabei wieder neue Produkte und Dienste an. Eine der Ankündigungen: MindSphere, das “IoT-Betriebssystem” von Siemens, ist ab sofort in einer ersten Version auf Azure, Microsofts Cloud Plattform, verfügbar. Diese Ankündigung soll an dieser Stelle als Anlass dienen, die Position von MindSphere als offene IoT-Plattform der Industrie genauer zu betrachten.
IoT-Ökosystem
Das Ziel von Siemens ist es, mit MindSphere ein IoT-Ökosystem zu etablieren. Dazu gehört ein ausgiebiges Set an Schnittstellen und eine stetig wachsende Entwickler-Dokumentation. Die Offenheit der Plattform beginnt bereits bei den Geräten: Siemens bietet selbst Hardware an, über welche die Sensordaten der Maschinen direkt an die Plattform geschickt werden können. Gleichzeitig ist es aber jedem Hersteller freigestellt, eigene Software zur Kommunikation mit der Cloud zu entwickeln und dabei verschiedene sichere Kommunikationsprotokolle zu nutzen.
Gleichzeitig sieht Siemens mit der Ende 2017 veröffentlichten Version “V3” nun einen Reifegrad erreicht, in welchem immer mehr MindSphere-Anwendungen durch Siemens und Partner entstehen können. Über eine Art “App Store” soll ein MindSphere-Kunde schlussendlich über wenige Klicks auswählen können, welche Anwendungen er für seine Daten verwenden möchte. Wichtiges Element dieser Lösungen und Merkmal von MindSphere: Wenn eine Anwendung hauptsächlich mit MindSphere-APIs kommuniziert und keine externe Infrastruktur benötigt, kann diese direkt in MindSphere ausgeführt werden. Der Anwendungsentwickler benötigt keine eigene Infrastruktur und die Kundendaten verlassen den Kundenkontext innerhalb von MindSphere nicht. Für ein einheitliches Gesamtbild sorgt ein Oberflächen-Designer, welcher gleichzeitig den Entwicklungsaufwand verringert.
Für weitergehende Anwendungsszenarien sollen “Application Provider” spezialisierte Dienste bereitstellen können. Diese benötigen in der Regel eigene Infrastruktur und tieferen Zugriff auf die Telemetriedaten des Kunden. Dieses Modell ist damit vor allem für OEMs, wie etwa Maschinenbauer, gedacht und eignet sich beispielsweise zur Abbildung von Service-Systemen für die Fernwartung und -Diagnose.
Infrastruktur von Azure und AWS
Während Lösungen wie beispielsweise Axoom es jedem Kunden selbst überlassen, wo die IoT-Lösungen betrieben werden sollen, verwaltet MindSphere die Plattform komplett selbst. Dadurch können neue Funktionen schneller ausgerollt und Partner leichter integriert werden.
Für die Infrastruktur setzt Siemens dabei auf die Lösungen der beiden führenden Cloud-Anbieter im Bereich IoT: Amazon WebServices (AWS) und Microsoft Azure. MindSphere auf Microsoft Azure steht seit der Messe in Hannover als erste Version zur Verfügung und soll bis zum Ende des Jahres zum vollen Funktionsumfang ausgebaut werden. Beide Plattformen sollen sich dabei für MindSphere als komplett gleichwertig etablieren. Unterschiede könnten sich jedoch bei den verfügbaren Anwendungen im geplanten “App Store”-Ökosystem zeigen, falls manche Anwendungen auf einen der Anbieter spezialisiert sind. Speziell im Bereich der Datenanalyse erhofft man sich von Azure aktuell Vorteile gegenüber AWS.
Für den Schritt zu Microsoft sprach vor allem die sehr große Auswahl an Regionen der Datenzentren, insbesondere in Deutschland. Letzteres ist immer noch für viele Kunden ein wichtiges Thema, um den Verarbeitungsort der Daten in kontrollierten (Landes-)Grenzen zu garantieren. Außerdem ist Microsoft für viele bereits ein etablierter Partner und genießt ein höheres Vertrauen als Amazon. Die flexible Grundeinstellung von Microsoft durch Angebote wie Azure Stack ist für MindSphere ebenfalls interessant, da Amazon in diesem Bereich kein vergleichbares Angebot besitzt.
Konkurrenz und Partner
Im Vergleich zu vielen spezialisierten IoT-Plattformen sieht sich MindSphere als Verfolger. Anbietern wie tapio wird hier ein Vorsprung zugesprochen. Gegenüber Konkurrenten wie Adamos sieht man sich bei MindSphere in persönlichen Gesprächen jedoch bereits vorne.
Eine wichtige Rolle für den Erfolg der Plattform spielen auch die Entwicklungspartner von MindSphere, beispielsweise der AIT-Kunde evosoft. Hier spricht man positiv über den Fortschritt der Plattform und der Schnittstellen. Besonders der neue Oberflächendesigner wurde positiv erwähnt und dabei mit der Einfachheit von Powerpoint verglichen. Allerdings werden auch in den IoT-Lösungen von evosoft noch Daten “an MindSphere vorbei” in die Cloud geschickt, um die aktuellen Kundenszenarien abzubilden. Dies ist jedoch teilweise auch gewollt: Eine zu enge Bindung an die Plattform strebt die hundertprozentige Siemens-Tochter zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht an.
Fazit
Durch die Ankündigung der Kooperation mit Azure unterstreicht Siemens die Bestrebungen, mit MindSphere eine der wichtigsten IoT-Plattformen im industriellen Bereich zu schaffen. Die starke Position von Microsoft im deutschen Markt dürfte vielen hiesigen Betrieben eine Entscheidung für MindSphere erleichtern. Mit Spannung darf dabei die Strategie verfolgt werden, Azure und AWS parallel zu unterstützen. Entwickler sollen trotzdem die Stärken beider Cloud-Anbieter in ihren MindSphere-Anwendungen nutzen können. Nimmt man die “App Stores” der Smartphone-Hersteller zum Vergleich, so erwies sich hier ein umfassendes Angebot an Anwendungen als eines der größten Erfolgskriterien. Durch die potenzielle Fragmentierung der Plattform bereits zu diesem frühen Zeitpunkt geht Siemens damit ein nicht zu verachtendes Risiko ein.